Ich bin gerade wahnsinnig frustriert: habe über eine Stunde geschrieben und dann falsch geklickt: alles weg. Darum nun im Telegrammstil: Interpret zu sein bei Sehgal ist ganz schön aufwendig. Heute hat es mich einen vollen Arbeitstag gekostet: Tochter in den Kindergarten, Telefonat, Interpretationsschicht, Gespräch, Kindergarten. Computerei bis spät in die Nacht wegen der aufgetürmten Arbeit (1:53 ist es jetzt). Darum die dringende Bitte an den Künstler weiterhin gute Ideen zu liefern, damit den Interpreten nicht langweilig wird und sie eine gute Zeit haben! Meese kann ja in einer Nacht zehn Blätter bemalen, die in Miami für 10000 Dollar pro Stück verkauft werden und dann nur noch von flüchtigen Blicken gestreift werden (was zeigt sich da?). Ich war aber nun schon 24 Stunden Teil einer Arbeit von Sehgal. Das ist sehr viel Zeit.
Das Ganze erinnert übrigens ein wenig an Duchamp: Wir Interpreten und Besucher sind ja in den Kunstkontext gestellt und werden dadurch bedeutsam. Ich konnte das beobachten. Das Kunstsystem sorgt für Erwartungen, erzeugt eine Aura der Bedeutsamkeit. Ich sage nur "Panama", wer Ohren hat zu hören....
Heute hatten wir Dänenbesuch. Doch zuvor Neoliberalismuslektion von einer quirligen Frau mit Brille. Sie hat mir den neoliberalen Nachtwächterstaat erklärt, in dem der Markt alles regelt und der Staat nur läppische Nachtwächterfunktionen hat, sozusagen aufpassen muss, dass nicht zu viel geklaut wird. Ich habe sofort die Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft eingeklagt (siehe auch Berthold Vogel unter www.hamburger-edition.de). Nachtwachen reichen dem Patienten nicht aus, das Personal muss auch mal operieren und eine Visite machen.
Eine schmale Frau mit Kulturarbeiterinnenbrille begegnet vor dem Turmeingang dem Künstler, der hier auch gerade unterwegs ist (und versucht, unbemerkt zu entkommen) und spricht ihn an. Schon merkwürdig: Der Künstler bewegt sich in seinem Werk und wird unfreiwillig in dieses verwickelt. KunstwissenschaftlerInnen: Was bedeutet das? Das Gespräch mit der Frau ist dann sehr gut, es geht um persönlichen Fortschritt und dass man nicht mit verpassten Chancen und falschen Entscheidungen hadern soll, sondern die eigenen Grenzen akzeptieren muss (das Glückskind hat aber auch nicht viel zu bedauern). Der Gedanke hilft, dass man eben nicht die Kraft hatte, anders zu handeln. Das Akzeptieren der eigenen Fragmentarität (schreckliches Endgültigwerden!): Weisheit - pathetisch gesagt.
Ein Ehepaar um die 60 spricht über Krieg. Ich frage, ob eine Abschaffung des Militärs in der Menschheitsgeschichte noch denkbar sei. Früher, meint der Mann, habe er daran geglaubt. Ich erinnere an diese Zeit des Aufbruchs und der Aufladung in den 60er und 70er Jahren (manche wollten auch die bessere Welt herbeibomben, siehe: http://www.dtv.de/dtv.cfm?wohin=dtvnr24584). "Man glaubte, noch etwas ändern zu können, da haben Sie etwas gesagt." Ich verschwinde in diesem Moment in meiner Lücke.
Zwei Dänenjungs erläutern mir, dass das Land nach 12 Jahren Sozialdemokratie jetzt wieder einen liberalen Regierungschef habe, der auf sein Buch über den Minimal-Staat nicht mehr angesprochen werden möchte, weil ihm die Praxis des Regierens gezeigt habe, dass der besagte Nachtwächterstaat nicht ausreicht. Da haben wir es!
Später kommen noch zwei blonde Däninen, die etwas gucci-mondän aussehen. Aber auch Kunststudentinnen, mit reichen Eltern wahrscheinlich. Sie finden meine Ansicht naiv, dass jede und jeder diese Welt durch Engagement um einige Millimeter verbessern könne. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen und verschwinde!
Jörg Herrmann
Donnerstag, 4. Januar 2007
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